Von jung und angejahrt in Wort und Bild

Schlagwort: Mystery (Seite 2 von 2)

Am Anfang war Lila: Kapitel 5

Im Anfang das Ende

»Seit wann weißt Du es?«

Ihre Stimme bebte und sie spürte, wie der Schmerz ihr Herz bereits flutete und jeden noch so kleinen Hoffnungsschimmer augenblicklich ertränkte.

Er wirkte unversehrt. Nichts an Ranieris attraktiver Erscheinung deutete auf das Monster hin, das sich durch seinen Kopf fraß. Doch die Hand, mit der er sich zerstreut über das dichte Blondhaar strich, zitterte.

»Die Diagnose steht seit einer Woche.«

Beinahe zwanzig Jahre ist jenes Gespräch nun her. Und doch hat Priska das Gefühl, es habe erst gestern stattgefunden. Sie kann sich an jedes einzelne Wort erinnern.

Es war ein sonniger Maientag, der sich mit verheißungsvollen Frühlingsdüften und dem bunten, pulsierenden Leben selbst tarnte, dabei jedoch in Wirklichkeit den Tod mit sich trug. Das Grauen erscheint noch unerträglicher, wenn es in schöner Gestalt daherkommt. Am Himmel tummelten sich luftige Wattewolken, die Bienen summten, die Kinder machten Hüpfspiele auf dem warmen Asphalt, die Amseln sangen ihre fröhlichsten Melodien, die kleinen Schaumkronen auf dem Eisack glitzerten.

Und Ranieri würde sterben.

Weiterlesen

Am Anfang war Lila: Kapitel 4

Zeichen

»Heute Nacht hat er mich nicht besucht.« Elena stellt diesen Satz betont beiläufig in den Raum, während sie naserümpfend und scheinbar hochkonzentriert die Rosinen aus der bis zum Rand gefüllten Müslischale klaubt. Sie kann jedoch die in ihrer Stimme unterschwellig mitschwingende Enttäuschung nicht verbergen. Priska überlegt, ob sie diese Situation als so surreal empfindet, weil ihre graue Zellen noch in der flaumigen Zuckerwatte festkleben, mit der sie die Schlaftablette vor einigen Stunden fürsorglich umhüllt hat. Oder liegt es daran, dass ihre Tochter beim Frühstück im Plauderton von einer Geistererscheinung erzählt, als handle es sich hierbei um einen neuen Kindergartenfreund? Während Elena unter dem Tisch die buntbestrumpften Beine schlenkern lässt, schützt sie ihre Augen mit einer Hand vor dem gleißenden Sonnenlicht, das kraftvoll und ungebremst die gegenüberliegende Fensterfront durchdringt. Im Gegensatz zu Priska selbst wirkt das Kind alles andere als ängstlich. Fakt ist, dass es sich bei dem unheimlichen Besucher ganz offensichtlich um keine Eintagsfliege handelt und dass Priska noch etwas Anlaufzeit benötigt, bevor sie sich imstande sieht, adäquat auf ihre Tochter einzugehen. Zumindest, was dieses Thema anbelangt. Da Elena den geheimnisvollen Gast gestern mit keiner Silbe mehr erwähnt hatte, wollten Priska und Luis zunächst versuchen, das Ganze auf sich beruhen zu lassen. Ein Fehler, wie sich nun herausstellt.

Weiterlesen

Am Anfang war Lila: Kapitel 3

Das alte Haus

Ranieri ist am Leben. Lachend kämpfen sie sich fernab des ausgetretenen Wanderweges durch das dichte Geäst und können die nahe Lichtung bereits erahnen. Der Endorphinrausch verleiht Priska ungeahnte Kräfte. Geschmeidig wie ein Panther erklimmt sie die teils mannshohen Felsbrocken, die von Riesenhand auf dem weichen, von Fichtennadeln übersäten Waldboden versprengt worden zu sein scheinen. Ranieri ist ihr dicht auf den Fersen. Sie spürt seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Priska befindet sich in jenem prickelnden Schwebezustand sehnsüchtiger und bangender Vorfreude, den sie so lange wie möglich auszukosten beabsichtigt. Sobald der Zauber der ersten Nacht vorüber wäre, würden flüchtige Berührungen nur mehr eine angenehme und geborgene Wärme erzeugen, sich treffende Fingerspitzen keine explosiven Funken mehr schlagen, heiß-kalte Wechselbäder bei verstohlenen Blicken ausbleiben. Ein uraltes Spiel, dessen Ausgang zwar vorgezeichnet ist, das aber in diesem Stadium noch vom Hauch des Ungewissen umweht wird. Ein rares Lebenselixier, das nicht verschwendet werden darf.

Weiterlesen

Am Anfang war Lila: Kapitel 2

Das Geschenk

Es war der Morgen nach Martini. Die güldenen Strahlen der aufgehenden Sonne tauchten die bleichen Bergspitzen in ein rötliches, verheißungsvolles Licht und erweckten König Laurins Rosengarten für kurze Zeit zum Leben. Johann war am Fuße dieses sagenumwobenen Felsmassivs aufgewachsen. Doch auch nach so vielen Jahren hatte der Anblick der glühenden Zacken nichts von seiner Magie verloren. Verzaubert hielt er den Atem an. Als die warme Luft schließlich aus Johanns Mund entwich, bildete sich eine weiße Dampfwolke. Es roch nach Schnee. Der Winter kam früh und ging spät in dieser vorletzten Dekade des ausklingenden 18. Jahrhunderts. Ein wenig willkommener Gast mit unzähligen Nöten im Gepäck. Von einer »kleinen Eiszeit« würde dereinst in den Geschichtsbüchern zu lesen sein.

Weiterlesen

Am Anfang war Lila: Kapitel 1

Nächtlicher Besuch

»Siehst Du diese winzigen, leuchtenden Punkte, die da so wild umherwirbeln? Das sind kleine Elfen, die Dich nachts beschützen. Sie spielen Fangen. Ein paar gehen dort auf der Bettkante spazieren. Andere sitzen auf dem Fensterbrett und lassen die Beine baumeln. Sie alle bewachen Deinen Schlaf. Du musst keine Angst haben.« Luis und Priska, Elenas Eltern, deuten auf das neue Babyphone, dessen aktivierte Infrarotlichtkamera gnadenlos die unzähligen Staubkörner einfängt, die vorhin beim Bettenmachen aufgewirbelt wurden. Sie tanzen einen magisch anmutenden Reigen.

Die Vierjährige runzelt die Stirn. »Das sind keine Elfen. Das ist Dreck.«

Weiterlesen

Neuere Beiträge »

© 2024 Federfarbenfee

Theme von Anders NorénHoch ↑

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen