Das Beste vorneweg: Ich liebe, nein, ich vergöttere Walsers Art, sich auszudrücken.
Neben seinem großen Interesse und Verständnis für die menschliche Natur, mit all ihren Stärken und Schwächen, ist es seine einzigartige Sprache, in der ich ein jedes Mal regelrecht schwelge, die mich dazu treibt, wieder ein weiteres seiner Werke in Angriff zu nehmen.
Vermag die Handlung per se, sofern überhaupt vorhanden, auch nicht immer zu fesseln: Walsers ureigene und daher so herrlich unverbrauchten Wortkompositionen, seine Kunst, auch einfache Begriffe so zu arrangieren und zu nutzen, dass die daraus geformten Aussagen weitaus mehr Bedeutung(en) haben als die jeweiligen Sätze Buchstaben und natürlich der leise, oft in Selbstironie mündende Humor – all das packt einen dafür direkt an der Wurzel. Mich zumindest.
Und seien die Brocken, die er einem zum Fraß vorwirft, auch noch so schwer verdaulich: Man wird sie andächtig und mit Genuss verspeisen. Schon allein deshalb, weil sie so appetitlich angerichtet sind.
Viele seiner Aussagen, wie etwa jene über das „Gefangensein“ sind universell bzw. steht es einem jeden frei, sie so für sich zu interpretieren, dass sie Erkenntnis und persönlichen Nutzen stiften, obwohl sie vom Initiator dieser Gedankenanstöße womöglich ganz anders gemeint waren. Das ist für mich auch ein sehr reizvolles „Walser-Charakteristikum“.
Die ausufernden Passagen über La Mettrie hingegen fand ich irgendwann recht ermüdend. Sie wirkten auf mich wie eine Rechtfertigungsorgie. L‘ organisation. Les remords … Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht gebildet genug, um die Tragweite dieser Diskurse über unnötige Schuldgefühle vollumfänglich zu begreifen. Jedenfalls brummte mir nach dem Lesen der Schädel. Und ich bin nun auch nicht wirklich motiviert, mich mit La Mettrie eingehender zu beschäftigen.
(Kurz streift Walser bzw. sein Alter Ego in diesem Zusammenhang auch den Holocaust. Für seinen Umgang mit dieser Thematik steht er ja nicht erst seit gestern im Kreuzfeuer der Kritik. Ich möchte mich dazu nicht näher äußern.)
Am Ende scheinen all diese präventiven Verteidigungsstrategien ohnehin obsolet. Weil das Herz sich nicht darum schert, was das Hirn für es austüftelt.
Dieses ewige Bestreben, mit dem Verstand die Bedürfnisse des Herzens und die sogenannten niederen Triebe zu (er)fassen, ist mir dennoch wohlvertraut. Ebenso wie das zermürbende Hin und Her und die damit verbundene Zerrissenheit. Die vermeintliche Klarheit ist immer nur von kurzer Dauer. Was einem zunächst richtig erscheint, ist plötzlich von Grund auf falsch. Und wenig später verhält es sich wieder genau umgekehrt.
Anstrengend ist auch der in der Mitte des Buches vorherrschende Sprachmix aus englischen, deutschen und französischen Versatzstücken. Zwar leuchtet mir durchaus ein, dass manches „unübersetzbar“ ist und bleibt, aber dieses Kauderwelsch ist für meinen Geschmack etwas zu viel des Guten.
Hin und wieder stellt sich der plötzliche Wechsel vom Deutschen ins Englische aber auch als sehr passend heraus. Etwa, als Zürn nach einem Händedruck des „Quetschers“ konstatiert: „Nothing broken, so far.“
Sympathisch wiederum finde ich, dass Walser … äh … Gottlieb Zürn dem weiblichen Geschlecht so zugetan ist. Doch trotz all der Wärme schimmert manchmal auch der Chauvi durch. Dadurch, dass er Frauen z.B. abspricht, etwas in SEINEN Augen Herabwürdigendes um ihretwillen zu tun, setzt er sie selbst herab. Das hat was von Entmündigung. „Fellatio“ lautet hier auch das Stichwort.
Überhaupt haben die Darstellungen von Erotik in diesem Buch allesamt etwas von einem verkrampften Eiertanz, der mit echter Sinnlichkeit wenig gemein hat. Was eigentlich tragisch ist für jemanden, der sich doch so danach verzehrt – nach eben jener Sinnlichkeit.
Aber ebenso wie die Liebe selbst in jede ihrer schillernden Facetten niemals langweilig wird, werden mir auch Walsers Bücher niemals fad.
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