Von jung und angejahrt in Wort und Bild

Tagesnotizen #14: Zuckerjunkie im Wolkenkuckucksheim

Mein Wolkenkuckucksheim liegt nicht im Verborgenen. Es gibt eine Leiter. Sie gaukelt eine gewisse Bodenhaftung zumindest vor. Außerdem gibt sie interessierten Mitmenschen die Möglichkeit, sich in meinem Luftschloss umzusehen. Manch einer versucht jedoch, klammheimlich an der Leiter zu sägen.  In der Hoffnung, mir den Aufstieg zu verwehren und die vermeintliche Utopie zum Platzen zu bringen.  In solchen Momenten frage ich mich, warum ich die Leiter nicht ein für allemal umwerfe. Ich brauche sie nicht. Ebenso wenig wie all jene, die wie ich, den Kopf zumindest zeitweise in den Wolken haben.

Die Leiter verschafft auch Unbefugten Zutritt. Sie macht mich verletzlich.  Beinharte Realitätsfanatiker und Traumdiebe haben leichtes Spiel. Allerdings sind meine Illusionen äußerst anhänglich.  Es kommt vor, dass sie entführt und am tiefsten Meeresgrund festgekettet werden. Doch sind sie wahre Entfesselungskünstler. Sie kämpfen sich zurück an die Oberfläche, schwingen sich in die Lüfte und sitzen letztendlich wieder auf dem Fensterbrett – von meinem Wolkenkuckucksheim.

Kann etwas, das so hartnäckig ist, substanzlos sein?

Andererseits:

Kann etwas Passion sein, das so diffus und wenig fokussiert ist?

Oft meine ich, mich auf eins konzentrieren zu müssen. Auf meinen Roman. Auf ein Genre, einen Schreibstil, eine Plattform.  Doch dadurch renne ich erst recht im Kreis.

Oft denke ich, etwas Distanz könnte nicht schaden und es wäre das Beste, die persönlichen Zeilen auf ein Minimum zu kappen.  Doch kann ich Menschen auch nur ansatzweise berühren, wenn ich selbst nicht mit ganzem Herzen dabei bin? Eine Diskussion, die gerade andernorts geführt wird, zeigt: Nein. Selbst wenn ich die Alltagsanekdoten wegließe, könnte ich mich trotzdem nicht hinter meiner Geschichte verstecken. Und eigentlich will ich das auch gar nicht.

Allerdings gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen meinen Tagesnotizen und meinem Roman: Letzterer ist pure Fiktion.  Zwar fließt unweigerlich viel von mir selbst in meine Geschichte mit ein. Doch ich bin nicht identisch mit meinen Protagonisten. Einige Leute in meinem Umfeld lassen sich in ihrer Verwirrung nicht beirren. So sind sie beispielsweise völlig vor den Kopf gestoßen, wenn sie erfahren, dass in meiner Vergangenheit kein Südtiroler Exfreund existiert.

Ich frage mich, warum das so ist.  Und ich überlege, ob ich selbst die Persönlichkeit eines Autors auf seine Romanfigur projiziere und umgekehrt.  Nein, ich kann mich nicht daran erinnern, dass Verfasser und Protagonist in meinem Kopf jemals zu einer Person verschmolzen wären. Was mache ich also falsch?

Dass Priska nur ein Kind hat und sie äußerlich geradezu das Gegenteil von mir darstellt, scheint jedenfalls nicht zu helfen. 😉

Apropos: In Sachen Ernährung befinde ich mich erst recht im Hamsterrad. Gerade genese ich von meiner 101. Erkältung in diesem Jahr. Das Entzündungsthema ist noch nicht gegessen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Körper winkt schon lange nicht mehr nur mit einem Pfahl, sondern drischt wutentbrannt mit dem gesamten Zaun auf mich ein. Dennoch laufe ich nach stressigen Tagen und in schlaflosen Nächten wie ferngesteuert zur Süßigkeitenschublade. Und bei einem Riegel bleibt es nie. Nicht einmal bei einer Tafel. Es sei denn, sie wiegt dreihundert Gramm. Dann vielleicht. So wird das nichts. Obwohl ich sehr genau weiß, dass Zucker die Entzündungsherde erst recht anfeuert, mache ich einen auf Kohlenhydratjunkie – kurz vor der Überdosis.

Klar: Im Vergleich zum letzten Jahr geht es mir wesentlich besser. Keine rezidivierenden Fieberschübe mehr, die mich bei 39,9 Grad trotz Tonnen an Ibuprofen in einen halbkomatösen Zustand versetzen und mir das Gefühl geben, in Kürze abzutreten. Keine Thrombose, die mich dazu verdammt, mir Heparinspritzen in den wohlgenährten Bauch zu rammen. Keine antibiotikumresistenten Keime, die sich durch mein Kiefer fressen. Die Lippe ist nur noch an einer winzigen Stelle taub und trotz zwei Schwangerschaften habe ich lediglich einen Zahn verloren. Also gar kein so übler Schnitt. Wären die permanenten Nebenhöhlenentzündungen, die Anosmie und die Insomnie nicht, hätte ich meine Selbsttäuschung schon längstens wieder auf Kurs gebracht. So aber piekst mich das schlechte Gewissen spätestens alle zwei Wochen. Wenn wieder ein neuer Infekt im Anmarsch ist. Hoffe, ich kratze bald die Kurve und nicht ab. Gute Ansätze sind durchaus vorhanden. Tagsüber.

Das Eiliensche fragt mich seit ein paar Tagen jeden Abend, was sie träumen soll. Dann bauen wir zusammen Luftschlösser. Ohne Leiter.

 

2 Kommentare

  1. Almut

    Hallo Mary,

    habe diesen Post und Deine Gedanken und Zweifel interessiert gelesen. Wenn ich an meine Schreibprojekte zurück denke dann kam ich mit der Vermischung Fiktion und eigene Anteile am Protagonisten nie klar. Das Gefühl sich selbst bloß zu legen war permanent als Angst da. Meine Distanz zwischen Roman Figur und dem Ich war hinderlich und Grund meines Scheiterns, wenn es um den Wunsch ging einen Roman zu schreiben. Ich denke das ist nicht Dein Problem. Bleib dran…..im kreativen Prozess sind solche Phasen wichtig, merke das auch beim Malen, mal läuft und dann stockt es und nichts scheint zu taugen.
    Lg Almut

    • Federfarbenfee

      Liebe Almut,

      vielen Dank für Deinen Kommentar! Ja, ich denke, dass Distanz zur Romanfigur fast unweigerlich dazu führt, dass auch der Leser nicht mit ihr warm werden kann. Erst das eigene Herzblut erweckt eine Geschichte zum Leben, finde ich. Allerdings schreibe ich selbst manchmal mit angezogener Handbremse. Was aber eher am Genre und an der Verknüpfung mit einem Familienblog liegt. Ein Pseudonym und/oder ein anderer Kontext würden wohl den ein oder anderen Knoten bei mir lösen. Aber wie Du schon sagst: Solche Phasen des Zweifelns und des Haderns gehören einfach dazu.
      Liebe Grüße zurück, Mary

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