Die noch schlaftrunkenen Kinder in den Arm nehmen. Tief einatmen und trotzdem den Duft ihrer Haare und ihrer Haut nicht wahrnehmen.
Morgenhygiene: Keine Zahnpasta schmecken. Keine Lotion und kein Deo riechen.
In die Küche kommen und das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee vermissen.
Mit einem kleinen Hoffnungsschimmer die Dose mit den gemahlenen Nelken aus dem Regal nehmen. Mein persönliches Barometer für die Ausprägung der Anosmie. Nichts.
Das Ämmale nach der Uhr wickeln und zwischendurch immer wieder in den Windel lugen, weil auch Gestank meine Riechzellen nicht erreicht.
In den herrlichen Frühlingstag, der draußen lacht, hineintauchen und den verlockenden Düften nachgeben, sie förmlich inhalieren wollen. Und rein gar nichts davon wahrnehmen.
Sich fühlen, als säße man unter einer, sämtliche Aromen absorbierenden, Glaskuppel. Getrennt von der Außenwelt. Wie in einem Paralleluniversum, das nur ein fader Abklatsch sein kann, ohne die Welt der Düfte. Das Eiliensche und das Ämmale schnuppern an einer Blume. Ich vermag mich immerhin an ihrer Schönheit zu ergötzen.
Sich zu erinnern versuchen, wie der Frischkäseringel, die Erdbeeren und die Blaubeeren geschmeckt haben, als mein Geruchssinn gerade mal zugegen war. Sicher nicht nach Esspapier und Zuckerwasser.
Das Obst penibel auf Schimmelanzeichen untersuchen. Die Nase hat ihren Dienst als Spürhund quittiert. Oft muss ich auch M. als Vorkoster bemühen, sofern er denn da ist. Nicht einem jeden Lebensmittel ist sein Verfall anzusehen.
Das Chichilla mit Heu versorgen. Das vertraute, würzige Aroma bleibt mir verwehrt. Hätte jemand das getrocknete Gras durch grüngefärbte Papierstreifen ersetzt – ich würde es nicht bemerken.
Mittagessen kochen. Nicht abschmecken können. Lediglich das Salz kann von meiner Zunge identifiziert werden.
Die Küche verlassen und nicht merken, dass die Mahlzeit anbrennt. Es erfüllt mich mit Sorge, dass ich nicht einmal den Brandgeruch wahrnehme.
Meinem Mann einen intensiven Begrüßungskuss geben. Etwas fehlt. Ich rieche ihn nicht. Lege die Lippen auf die Kuhle an seinem Hals. Samtige Haut, aber kein Hauch von seinem körpereigenen Parfum.
Beim gemeinsamen Essen schauspielern und sich den „Mmmmh“- und „Ahhhh“-Lauten anschließen, um vor allem den Kindern nicht die Lust an den Speisen zu nehmen, obwohl sie für mich nach aufgeweichter, leicht gesalzener Pappe schmecken. Wieder fühle ich mich von ihnen abgeschnitten und ausgeschlossen von der Welt der kulinarischen Genüsse.
In der eigenen Erinnerung kramen und sich vorstellen, wie die vertrauten Lebensmittel schmecken müssten. Scheitern.
Sich immer wieder ängstigen, dass der Geruchssinn sich dieses Mal für immer verabschiedet und die Anosmie bleibt.
Es würde mich, zumindest partiell, umbringen.
Die Lieblingsblumen meines Eiliensche – PC und Handy haben auch noch keine Riechfunktion und trotzdem können wir uns zumindest an dem strahlenden Äußeren dieser weiß-lila Blüten laben.
Eine eigenartige, für mich bisher unbekannte Herausforderung, die Dir sicher nicht leicht fällt! Och Mensch! ?
Liebe Claudia, ja, ich habe große Angst davor, meinen Geruchssinn endgültig zu verlieren und die Ärzte halten sich wegen der Prognosen auch recht bedeckt. Die längste Phase, in der ich überhaupt nichts gerochen habe, dauerte 3 Monate. Derzeit ist es so, dass ich ca. 2-3 Wochen im Monat ohne Geruchssinn bin. Das ist den zahlreichen Infekten, meiner chronischen Sinusitis – und nun noch der Pollenallergie – zuzuschreiben. Nach einer durchgestandenen Erkältung, die bei mir jedes Mal in komplett vereiterten Nebenhöhlen ausartet, dauert es immer eine Weile, bis der Geruchssinn zaghaft zurückkehrt. Je länger er Zeit hätte, sich zu stabilisieren, desto mehr Riechzellen bilden sich wohl wieder und ich rieche dann jeden Tag ein bisschen mehr. Bis der nächste Infekt zuschlägt. Da muss ich auch ansetzten. An der Stärkung des Immunsystems. Ich verschone Dich jetzt lieber mit einer Aufzählung der ganzen Dinge, die ich diesbezüglich schon ausprobiert habe und noch versuche. Gegen die Allergie nehme ich Medikamente. Bezüglich der chronischen Sinusitis komme ich wahrscheinlich um eine OP nicht herum. Herzliche Grüße, Marianne