Welchem gemeinsamen Ziel pilgern, hopsen, schlendern, schlurfen und schweben an diesem gar nicht so grauen Novemberwochenende Horden von Menschen aller Altersgruppen entgegen? Wo kann man hautnah miterleben, wie Paralleluniversen aufeinanderprallen, sich bärtige Nerds durch endlose Buggykarawanen schlängeln und die leuchtenden Augen frischverliebter Pärchen mit denen all der Kinder um die Wette funkeln, die sich endlich in Alice`s Spielewunderland angekommen wähnen?
Die alljährliche Münchner Spielwies`n ist etwas für Junge und Junggebliebene. Gut, nur Erstere schaffen es auch nach acht Stunden Spielemarathon noch, das Duracellhäschen alt aussehen zu lassen.
Der Fokus liegt nach wie vor auf den Brettspielen. Das muss man wissen.
Zwar ist das Rahmenprogramm üppig: Basteln, Malen, mannshohe Seifenblasen generieren, Kugelbahnen und Holzeisenbahnstrecken bauen, eigene Trickfilme drehen, an der Kletterwand, beim Tischtennis, auf dem Bewegungsparcours oder der Hüpfburg die (eventuell durchs Zocken versteiften) Knochen sortieren, die LEGO-Ausstellung passiv bestaunen oder aktiv inspiriert mit den bunten Bausteinen eigene Modelle basteln – vieles ist möglich.
Aber wer mit Gesellschaftsspielen nicht viel anfangen kann, der wird sich nur bedingt amüsieren.
Auch wenn man ein mit ausgeprägtem Bewegungsdrang gesegnetes Baby oder Kleinkind im Schlepptau hat, für das Würfel, Karten, und Spielbretter maximal zum Einspeicheln taugen, könnte es anstrengend werden.
Unser Ämmale ist 9 Monate alt und befindet sich gerade auf dem Höhepunkt der oralen und in der Übergangs-Phase vom Krabbeln zum aufrechten Gang. Im Kinderwagen und auf dem Arm hält es sie nicht lange. Zweifelsohne war sie völlig geflasht von den vielen Eindrücken. Dennoch wollte sie irgendwann nur noch auf Erkundungstour gehen, was aber nirgends gefahrlos möglich war. Auf der offiziellen Website der Spielwies`n wird tatsächlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch das Kinderparadies erst ab 3+ ein solches ist, da aber das Ämmale bei Weitem nicht das einzige Kind unter Drei war, sei an dieser Stelle die Anregung erlaubt, vielleicht einen kleinen, abgegrenzten Spielbereich für die Minnis einzurichten, in dem sie sich ein wenig austoben können, ohne dass man sie permanent von fremden Hosenbeinen oder instabilen Stuhlbeinen bereits besetzter Hocker zupfen und ihnen gleichzeitig eine Murmel oder Spielfigur aus dem Mund puhlen muss.
Dafür war für die Altersklasse vom Eiliensche, das Mitte Dezember ihren dritten Geburtstag feiert, schon wirklich viel geboten. Unzählige Spiele warteten darauf, ausprobiert zu werden und allerorts standen hilfsbereite Damen und Herren bereit, die das Spiel kurz erläuterten, so dass sich ein zeitaufwendiges Einarbeiten in das Regelwerk erübrigte und sogleich losgespielt werden konnte.
Von einer Großraum-Wohnzimmeratmosphäre ist auf der Homepage die Rede. Dies halte ich jedoch für einen blanken Euphemismus. Es gibt durchaus zahlreiche Tische, an denen die ausgeliehenen Spiele getestet werden können. Aber der Andrang ist riesig. Unter einem gemütlichen Ambiente stelle ich mir etwas Anderes vor.
Allerdings vergisst man den Trubel um einen herum, sobald man in die Spielewelt abgetaucht ist. Das Publikum ist größtenteils angenehm. Störenfriede, die einem den eroberten Platz streitig machen wollen, sind rar. Hätte uns das Ämmale nicht non stop die wuselige Realität vor Augen geführt, so wäre es beim Spielen tatsächlich völlig nebensächlich gewesen, dass man nicht im eigenen Wohnzimmer, sondern an einem Spieltisch inmitten wabernder Menschenmassen sitzt.
Ausserdem gibt es im ersten Stock diverse, nicht ganz so stark frequentierte Räume, in die sich die Spielebegeisterten zurückziehen können. Wohin das Auge reicht, spielende Grüppchen. An Tischen oder auf dem Boden. Viele haben ihre eigene Brotzeit mitgebracht. Das hat schon ein gewisses heimeliges Flair.
Wenn das Ämmale nicht gerade auf meinem Arm Capoeira tanzen und in hohem Bogen über meine Schulter kotzen würde, während das Eiliensche mit ihrer Luftballonblume vor mir herumwedelt und sie bis zum gequälten Aufquietschen drückt, wäre das sich mir hier bietende Bild sogar ein sehr entspannendes.
Irgendwann wird es vielleicht möglich sein, dort, in dem kleinen Café zu sitzen, einen Cappuccino zu schlürfen und das Treiben im Atrium in Ruhe auf sich wirken zu lassen, um sich anschließend in einem der Nebenräume in eine magische Welt entführen zu lassen. Die Kinder gut aufgehoben und ebenfalls selig spielend in der Nähe wissend.
So weit der Traum.
Ob mit oder ohne Kinder: In jedem Fall ist es sinnvoll und empfehlenswert, sich im Vorfeld über einzelne Veranstaltungen und Programme zu informieren. Angesichts der Fülle von Ständen und Menschen sieht man ansonsten vor lauter Wald die Bäume nicht mehr.
So werden unterschiedlichste Vorträge und Turniere abgehalten und es ist sogar möglich, gegen manch einen Spielentwickler höchstpersönlich anzutreten. Auch eigene Konzepte und Spieleideen sind willkommen und in der Spielewerkstatt können diese auch direkt umgesetzt werden.
Um frische Luft zu schnappen und um dem Gewimmel kurzzeitig zu entfliehen, eignen sich die Freiflächen zwischen den Hallen. Hier gab es auch genügend Platz, um mit dem Kinderwagen seine Bahnen zu ziehen, wenn das Baby dringend einen Powernap benötigt. Wettrennen mit als Traktoren getarnten Dreirädern stören dabei nicht sonderlich. Dafür gleicht das Kinderwagenschieben in den Hallen einem Extrem-Hindernislauf. Wir haben das Gefährt daher draussen geparkt und das Baby kurzerhand getragen.
Auf der Toilette muss man nicht warten und hinreichend sauber ist es auch.
Für das leibliche Wohl ist ebenfalls gesorgt. Allerdings ist es bei der Essensbeschaffung sinnvoll, die Scheuklappen vorher abzusetzen und erst zu lesen und sich dann anzustellen. Bei einer Fressbude zumindest muss man zuerst an der Kasse löhnen und sich dann an der Essensausgabe anstellen. So steht es in nicht allzu großer Schrift auf einem Täfelchen am Gesichtsfeldhorizont der ganz hinten Anstehenden geschrieben. Ich bin natürlich prompt in die Falle getappt und habe mich zuerst in die falsche Schlange eingereiht. Zwar blickte ich das System irgendwann, musste mich dann aber wieder ganz hinten anstellen. Folgender Spruch wurde mir zuteil: „Bingo, jetzt Sie haben die Spielregeln verstanden. Ziehen Sie eine Ereigniskarte (den Kassenbon) und reihen Sie sich wieder am Ende ein. Und immer freundlich lächeln.“ Was ich gerne mit dem aberwitzigen Kerlchen gemacht hätte, das behalte ich lieber für mich.
Im Großen und Ganzen lautet das Résumé dieses Tages aber: Sche wars.
Wir kommen wieder, keine Frage. Aber wahrscheinlich erst übernächstes Jahr, wenn auch das Ämmale auf ihren dritten Geburtstag zusteuert.
Hier noch der Link zur offiziellen Seite: http://www.freizeitspass-muenchen.de/messen/spielwiesn/uebersicht.html
(Zur Forscha haben wir es leider nicht geschafft. Die Modellbahnausstellung war ebenfalls recht interessant. Auch für die Kinder.)
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